Long Covid – Wie Physiotherapie helfen kann

Was versteht man unter den Begriffen Post-Covid-Syndrom und Long Covid?

Eine Covid-19 Erkrankung kann grundsätzlich in 3 Phasen unterteilt werden:

  1. Phase: bis 4 Wochen: akute Covid-19 Erkrankung

  2. Phase: 4-12 Wochen: anhaltende, symptomatische Covid-19 Erkrankung

  3. Phase: ab 12 Wochen: Post-Covid-Syndrom

Laut dem National Institut for Health and Care Excellence (NICE) werden die zwei letzten Phasen der Erkrankung unter dem Begriff „Long Covid“ zusammengefasst.

(Quelle: https://www.nice.org.uk/guidance/ng188)

Bei der Wahrscheinlichkeit an Long Covid zu erkranken spielt die Länge und der Schweregrad der akuten Covid-19 Infektion keine Rolle. Junge, sportliche Patienten mit einem sehr milden Akutverlauf sind ebenso betroffen, wie PatientInnen die in der Akutphase stationär betreut werden mussten.

 

Einige Symptome 

Die Langzeitsymptome können sehr vielseitig sein und von Kopf bis Fuß auftreten. Das macht die Behandlung sehr komplex und individuell.

Beispiele für Symptome können sein: Kopfschmerzen, Muskel- und Gliederschmerzen, Wortfindungsstörungen, Konzentrationsprobleme, Sehstörungen, Tinnitus, Verlust des Geschmacks- und Geruchssinnes, Schwindel, Kreislaufprobleme, Kurzatmigkeit, Gelenkschmerzen, Muskelschmerzen, Magen-Darm Probleme, subjektives Empfinden von Krankheit und Abgeschlagenheit, Fatigue, Post Exertional Malaise, Brain Fog, Posturales Tachykardiesyndrom, …

FATIGUE? POST EXERTIONAL MALAISE? BRAIN FOG? POSTURALES TACHYKARDIEDSYNDROM?

Wovon spreche ich?

FATIGUE ist eine schwerwiegende Erkrankung, die sich durch eine gesteigerte körperliche und kognitive Erschöpfbarkeit auszeichnet. Besteht dieser Zustand länger als 6 Monate spricht man von Myalgische Encephalomyelitis/ Chronic Fatigue Syndrome (ME/CFS). Die Ausübung eines regulären Berufs sowie die Teilnahme am sozialen Leben kann ein massives Problem darstellen. Betroffene beschreiben, dass bereits Aktivitäten des alltäglichen Lebens, wie z.B.: das Ausräumen des Geschirrspülers, sie an ihre Grenzen führen. Dadurch wird die Lebenssituation der Betroffenen stark eingeschränkt.

Die persönliche Aktivitätsgrenze sollte allerdings nicht überschritten werden, damit der Zustand der PatientInnen sich nicht nachhaltig verschlechtert. Denn nach körperlicher oder kognitiver Überanstrengung kann es sonst zur sogenannten POST EXERTIONAL MALAISE, einem massiven Rückschritt des Zustandes, führen. Diese Verschlechterung kann für Tage anhalten und ist typisch für ME/CFS.

Unter BRAIN FOG versteht man das Phänomen eines benebelten Zustandes im Kopf. PatientInnen die darunter leiden können sich nicht mehr effektiv konzentrieren, vergessen banale Dinge und verlieren den Blick fürs Wesentliche.

Zusätzlich kann eine Regulationsstörung des Herz-Kreislaufsystems auftreten. Diese kann dazu führen, dass die Gefäße die Blutverteilung im Körper nicht mehr richtig steuern. Oft wird bereits durch einen Lagewechsel von der Rückenlage in den Sitz oder Stand eine massive Erhöhung der Pulsfrequenz, Schwindel und weitere Symptome wahrgenommen. In der Fachsprache wird dies als POSTURALES TACHYKARDIESYNDROM (POTS) bezeichnet.

PatientInnen die unter diesen Symptomen leiden werden oft als psychosomatisch erkrankt abgestempelt. Nicht selten hören sie Sätze wie: „Reiß dich halt ein wenig zusammen, dann wird das schon wieder werden!“ Die Betroffenen plagen sich um wieder in Schwung zu kommen, während der Körper noch mit dem der Heilung beschäftigt ist. Jede stärkere Belastung hindert ihn jedoch daran und wirft ihn wieder zurück. Genau ist das der falsche Weg!

Es wird klar differenziert, dass es sich hierbei nicht um Burn Out handelt und somit auch diese Behandlungsstrategien nicht zielführend sind. PatientInnen die unter Burn Out leiden fehlt oft der Antrieb. Bewegung und Aktivität bringen eine Besserung des Zustandes!

PatientInnen die unter Fatigue leiden verspüren oft den Antrieb, sie möchten aktiv sein, aber ihr Körper kann die Belastungen nicht durchführen. Sie neigen dazu ihren Körper zu überlasten. Zu viel Bewegung und Aktivität bringt in diesem Fall eine massive Verschlechterung!


Wie kann Ihnen Physiotherapie helfen?

Das oberste Ziel der physiotherapeutischen Behandlung ist das Erlernen eines effektiven Engergiemanagements!

1. PACING

Pacing spielt eine zentrale Rolle in der Physiotherapie von Long Covid PatientInnen. Darunter versteht man die Kontrolle der Pulsfrequenz. Damit dies möglich ist, wird Ihre momentane, persönlicher Pulsobergrenze ermittelt. Dieser Wert wird für jeden Patient individuell von Ihrem Arzt oder PhysiotherapeutIn errechnet. Genauso wie ein Marathonläufer müssen Sie darauf achten, dass Sie nicht alle Energien auf einmal verbraucht haben, bevor Ihr Körper wieder in der Lage war genug Reserven zu produzieren. Bis Sie im Ziel angekommen sind, dürfen Sie Ihre Aufmerksamkeit darauflegen, dass Ihre Pulsfrequenz nicht über diese Grenze schreitet.

2. KÖRPERWAHRNEHMUNG

Ihre Körperwahrnehmung wird geschult, damit Sie Ihre persönliche Belastbarkeit wahrnehmen und einer Überlastung rechtzeitig entgegenwirken können. So kann das überschreiten Ihrer Grenzen vermieden werden.


3. PHYSIOTHERAPEUTISCHER TRAININGSPLAN

Die wertvolle Bewegung und die nötigen Ruhephasen werden anhand von einem physiotherapeutischen Trainingsplan an Ihre persönlichen Bedürfnisse angepasst und erstellt. Die individuelle Aktivitäts- und Pulsgrenze stehen dabei im Mittelpunkt.


4. ENTSPANNUNGSTECHNIKEN

Vielseitige Strategien, wie Ihre Energiereserven (Body Battery) wieder aufgefüllt werden können, werden erlernt.


5. TAGESABLAUF

Die Planung Ihres darauf abgestimmten Tagesablaufs wird durchgeführt. Wann haben Sie mehr Energie zur Verfügung? Wann machen welche Tätigkeiten Sinn? Wann brauchen Sie Pausen?


6. ATEMTHERAPIE

Einen weiteren wesentlichen Therapieaspekt stellt die Atemtherapie dar. Sie umfasst die Durchführung der unterschiedlichen Atemtechniken damit die Versorgung der Lunge und des gesamten Körpers mit ausreichend Sauerstoff gewährleitet werden kann. Darüber hinaus werden Dysbalancen oder Defizite der Atemhilfsmuskulatur ermittelt und ausgeglichen.


7. KREISLAUFGYMNASTIK

Regulationsprobleme des Herz- Kreislaufsystems können durch die Aktivierung und das Training spezieller Muskelgruppen positiv beeinflusst werden. Zusätzlich kann der Einsatz von Stützstrümpfen eine Linderung der Beschwerden mit sich bringen.


8. PROPRIOZEPTIVES TRAINING

Durch den Einsatz von gezielten Koordinations- und Balanceübungen werden unter anderem auch die kognitive Belastbarkeit und die Konzentrationsfähigkeit bewusst angeregt.


9. SINNESWAHRNEHMUNG

Der Geruch- und Geschmacksinn können durch Therapiemaßnahmen welche die olfaktorische Wahrnehmung der Nase und die gustatorische Wahrnehmung der Zunge fördern, unterstützt werden.


10. MANUELLE THERAPIE

Angepasst an das Beschwerdebild Ihrer individuellen Symptome werden manuelle Behandlungstechniken durchgeführt um Ihren Körper beim Heilungsprozess effektiv zu unterstützen.


Für eine ganzheitliche Behandlung können folgende Therapieansätze (der aktuellen, medizinischen Erkenntnisse) ergänzend zu einer Linderung der Beschwerden führen:

  1. Vitamin D, Vitamin C, Magnesium, … stellen wichtige Bestandteile einer vollwertigen Ernährung dar. Bezüglich der eventuellen Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln sprechen Sie bitte mit dem Arzt Ihres Vertrauens.

  2. Sollte ein Mastzellaktivierungssyndrom (MCAS) vorliegen, kann auch diese Behandlung und eine histaminarme/freie Ernährung mit Ihrem Arzt besprochen werden.

  3. Eine weitere große Unterstützung kann das Wahrnehmen von Hilfsangeboten sein um einer Überlastung vorzubeugen!

Long Covid ist eine ernstzunehmende Erkrankung, die einer fachlich kompetenten Therapie bedarf. Gerne begleite ich Sie auf Ihrem Genesungsweg mit meinem Wissen und den individuell auf Ihre Bedürfnisse abgestimmten physiotherapeutischen Behandlungen. Dazu können Sie einen persönlichen Termin in meiner Praxis buchen. Sollte Ihnen dies aus gesundheitlichen oder örtlichen Gründen nicht möglich sein, ist ein Online Coaching ebenfalls möglich – ganz nach dem Pacing-Motto: WENIGER IST MEHR!

Dieser Artikel ist als eine persönliche Zusammenfassung meines Wissens zu sehen. Er ist gestützt an wissenschaftlichen Publikationen, dem fachlichen Austausch mit ÄrztInnen und PhysiotherapeutInnen die sich mit dieser Thematik beschäftigen, aber auch auf Informationen und Erfahrungsberichten von betroffenen Menschen auf der ganzen Welt.

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